Dynamic Facilitation

Das lineare Vorgehen konventioneller Moderationsmethoden entspricht nicht der Natur des menschlichen Geistes. Unsere Ideen, unsere Gedanken und unsere Energie folgen nicht einem vorab festgelegten Fahrplan. Der menschliche
Geist arbeitet spontan, oft erratisch, er springt hin und her und bleibt
nicht gerne für 30 Minuten bei genau einem Thema. Er denkt oft schon an
die Lösung, wenn «offiziell» erst die Phase der Problemdefinition
ansteht. Er will vielleicht Bedenken äußern, wenn der Moderator das
ausschließliche Sammeln von Ideen angesagt hat. Und wenn man sich dann
in der Phase der Alternativenbewertung befindet, kann er darauf kommen,
dass man bislang an der falschen Fragestellung gearbeitet hat.

Jim Rough zog daraus den Schluss, dass eine zwangsweise vorgegebene Struktur  die Kreativität und den natürlichen Fluss des menschlichen Geistes bremst. Die Struktur verhindert oft das, was am dringendsten gebraucht wird: einen schöpferischen Durchbruch. Das war sein Ausgangspunkt der dynamischen Moderation.

Bei Dynamic Facilitation gibt es keinerlei sequenzielle Struktur, also keine
Schritte, die aufeinander folgen. Man beginnt mit einem Thema, doch der Moderator achtet nicht darauf, dass die Gruppe bei diesem Thema bleibt und oder einem andersgearteten roten Faden folgt. Dynamic Facilitation ist darauf angelegt, den kreativen Fluss der Gruppe zu jeder Zeit zu ermöglichen und zu unterstützen und mit der Energie der Gruppe zu gehen.

Eines ihrer Kennzeichen besteht darin, dass man sich am Ende nie für eine Lösung A oder B oder C entscheidet, indem man beispielsweise abstimmt. Die Lösung, die von den Teilnehmern als die Richtige empfunden wird, kommt als, oft unerwarteter, Durchbruch. Sie wird sichtbar als eine fühlbare Veränderung in der Energie der Gruppe. Jeder spürt, dass jetzt eine gute Lösung gefunden wurde, und es besteht kein Bedürfnis mehr, sich formell für etwas zu entscheiden.

Dynamic Facilitation ist eine Moderationsmethode, die vor allem für schwierige,
komplexe Themen geeignet ist, wie:

  • strategische Fragen
  • konfliktäre oder potenziell konfliktäreThemen
  • Fragestellungen, die mit rigiden Werturteilen «aufgeladen» sind
  • Themen, die eine versteckte Dimension haben
  • vertrackte Probleme, an deren Lösbarkeit kaum einer mehr glaubt


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Der Ablauf

Wenn man die «Oberfläche» eines Dynamic Facilitation-Prozesses betrachtet, sieht man einen Moderator, der die Beiträge der Teilnehmer permanent auf vier Listen schreibt, die wie folgt betitelt sind:

  • Herausforderungen/Fragen
  • Lösungen/Ideen
  • Bedenken/Einwände
  • Informationen/Sichtweisen


Auf der Liste der Herausforderungen/Fragen sammelt der Moderator alle Aussagen, die das zu lösende Problem beschreiben. Er bittet die Teilnehmer, Probleme als Fragen zu formulieren: «Wie können wir xyz erreichen?» Die  Herausforderungen/Fragen können generell oder spezifisch sein und gerne auch unlösbar oder heftig umstritten.Und wenn jemand nach einigen Stunden sagt: «Moment mal. Wir marschieren gerade in eine ganz falsche Richtung. Es gibt da noch ein viel tieferes(oder breiteres oder anderes) Problem.» Dann schreibt der Moderator dieses auf die Liste der Probleme, und die Gruppe verfolgt diese Idee, wenn sie gerade Interesse hat, oder auch nicht.

Der Moderator unternimmt nichts, um die Gruppe auf einem linearen Weg zu halten. Er achtet tatsächlich nicht auf den roten Faden. Auf die Liste der Lösungen/Ideen werden alle Lösungen geschrieben, die genannt werden, egal zu welchem Problem sie passen. Da kommen dann rasch Dutzende von Lösungen zusammen, und das ist alles andere als ein ordentlicher Prozess. Im Gegenteil, die Lösungssammlung erscheint wie ein chaotischer Mix.

Wenn jemand mit einer Lösung nicht einverstanden ist, dann kommt das auf die Liste der Bedenken/Einwände. Immer, wenn jemand etwas gegen eine Lösung sagt, fragt der Moderator nach: «Was genau ist Ihre Befürchtung?» Und die wird dann auf diese Liste geschrieben. Der emotionale Anteil wird damit sichtbar aufgenommen, anerkannt und auch von dem sachlichen separiert Es  ist wichtig, dass Bedenken als solche und nicht als Werturteil über den Vorschlag des anderen aufzuschreiben.

Auf eine vierte Liste, die Informationen/Sichtweisen betitelt wird, kommen alle anderen Informationen, gleich ob Beobachtungen oder harte Daten, ob wahr oder falsch, ob Fakten oder Gefühle. Wenn man unter die Oberfläche schaut, dann erlebt man Dynamic Facilitation zu Beginn als einen Prozess der «Reinigung». Die Teilnehmer werden eingeladen und angeleitet, sich von ihren Gedanken und Gefühlen, die sie mitgebracht haben, zu «reinigen».

Diese erste Phase der «Reinigung» kann 20 Minuten oder auch drei Stunden dauern. Der Dynamic Facilitation-Moderator ist bestrebt, das Gespräch der Gruppe in einem kreativen Fluss zu halten.

In Situationen, wo es eine kreative Lösung braucht, kommt die Gruppe oft an einen Punkt, wo alles Mitgebrachte und Vorläufige auf dem Papier steht, der Durchbruch aber noch außer Sichtweite ist. Dieser Punkt fühlt sich  möglicherweise nicht angenehm an, weder für den Moderator, noch für die Gruppe. Und was tut der Moderator? Nichts! Er mag vielleicht noch mal rekapitulieren, wo die Gruppe jetzt steht. Doch er vermeidet es, sie jetzt retten zu wollen. Er wartet ab und vertraut auf das, was sich jetzt spontan zeigen will.

Was sich zeigt, müssen nicht nur neue sachliche Lösungen sein. Es kann sich auch um Durchbrüche des Fühlens handeln. Meistens kommt beides zusammen,

Fallstricke bei der Anwendung der Methode

Der wichtigste Fallstrick bei der Anwendung von Dynamic Facilitation besteht darin, dass man diese Methode in einer Situation nutzt, in der die  Voraussetzungen für ihre Anwendung nicht erfüllt sind. Diese Voraussetzungen sind:

1. Die Teilnehmer müssen ein echtes Interesse daran haben, ihr Problem zu lösen.
2. Die gleichen Teilnehmer müssen die ganze Zeit über zusammen bleiben.
3. Es muss genug gemeinsame Zeit zur Verfügung stehen.
4. Es darf nicht nur eine begrenzte Zahl an Optionen möglich sein.
5. Das Thema sollte eine emotionale Komponente haben.

Fazit

Dynamic Facilitation trägt wie kaum eine andere Moderationsmethode der Tatsache Rechnung, dass lebendige Systeme nicht beherrschbar sind und ihre Veränderung nicht geplant werden kann. Sie schafft den Raum für  Selbstorganisation und für Transformation. Ein kreativer Durchbruch ist nichts anderes eine spontan entstandene neue Ordnung (der Gedanken und Gefühle), die vorher niemand vorhersehen konnte, die hinterher jedoch perfekt logisch erscheint.

(Gekürzt nach einem Artikel von Matthias zur Bonsen, der erstmals in der ZOE erschienen ist)

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